Scheinselbstständigkeit: Kriterien, Risiken und rechtliche Folgen
Was Sie über Scheinselbstständigkeit wissen müssen
Scheinselbstständigkeit kann sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer vor existenzbedrohende finanzielle und strafrechtliche Probleme stellen. Wer formal als Selbstständiger arbeitet, aber faktisch wie ein Angestellter behandelt wird, riskiert Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen in sechsstelliger Höhe. Dieser Ratgeber zeigt Ihnen, woran Sie Scheinselbstständigkeit erkennen, welche Konsequenzen drohen und wie Sie sich rechtssicher schützen.

[fs-toc-h2]1. Definition: Wann liegt Scheinselbstständigkeit vor?
Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn jemand zwar vertraglich als selbstständiger Dienstleister auftritt, tatsächlich aber wie ein abhängig Beschäftigter arbeitet. Das zentrale Problem dabei ist, dass nicht der schriftliche Vertrag über die rechtliche Einordnung entscheidet, sondern die tatsächlich gelebte Arbeitsbeziehung im Alltag. Diese Diskrepanz zwischen formaler Selbstständigkeit und faktischer Abhängigkeit führt regelmäßig zu rechtlichen Problemen - oft ohne dass die Beteiligten es zunächst merken.
Viele Unternehmer und Selbstständige wiegen sich in falscher Sicherheit, weil sie einen ordentlichen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen haben. Die Realität sieht anders aus: Behörden interessiert nicht, was im Vertrag steht, sondern wie Sie täglich zusammenarbeiten. Ein E-Mail mit "Können Sie morgen um 9 Uhr im Büro sein?" kann bereits als Weisung gewertet werden.
Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV: "Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers." Diese Definition macht deutlich, dass zwei Kernmerkmale für die Beurteilung entscheidend sind.
Die beiden Kernmerkmale abhängiger Beschäftigung sind:
- Weisungsgebundenheit: Der Auftraggeber gibt detaillierte Vorgaben zu Arbeitszeit, Arbeitsort und Art der Arbeitsausführung
- Organisatorische Eingliederung: Der Auftragnehmer wird in die Betriebsabläufe und Hierarchiestrukturen des Unternehmens integriert
Ein wichtiger Aspekt ist die rechtliche Abgrenzung: Scheinselbstständigkeit im Sozialversicherungsrecht ist nicht identisch mit dem Arbeitsrecht oder Steuerrecht. Eine Person kann sozialversicherungsrechtlich scheinselbstständig, arbeitsrechtlich aber selbstständig sein. Diese unterschiedlichen Bewertungen in verschiedenen Rechtsbereichen führen oft zu Verwirrung und erfordern eine differenzierte Betrachtung. In unserem Ratgeber zu den Grundlagen des Wirtschaftsrechts für Unternehmer erfahren Sie mehr über die verschiedenen Rechtsbereiche und deren Zusammenspiel in der Unternehmenspraxis.
Praxis-Tipp: Führen Sie eine ehrliche Bestandsaufnahme Ihrer Arbeitsbeziehungen durch. Fragen Sie sich: Würde ein Außenstehender die Zusammenarbeit als Arbeitsverhältnis einschätzen? Falls ja, sollten Sie dringend gegensteuern.
[fs-toc-h2]2. Wie erkenne ich Scheinselbstständigkeit?
Die Beurteilung erfolgt durch eine Gesamtschau aller Umstände. Die Rechtsprechung hat verschiedene Indizien entwickelt, die unterschiedlich gewichtet werden. Es gibt keine starren Regeln, sondern alle relevanten Faktoren werden gegeneinander abgewogen. Das macht die Einschätzung so tückisch - was heute noch als selbstständig gilt, kann morgen bereits problematisch sein.
Starke Risikoindizien für Scheinselbstständigkeit:
Besonders problematisch ist es, wenn über 84 Prozent der Einnahmen von einem einzigen Auftraggeber stammen. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit gilt als starkes Indiz für ein Arbeitsverhältnis. Stellen Sie sich vor, Ihr Hauptkunde kündigt - sind Sie dann pleite? Dann sind Sie wahrscheinlich wirtschaftlich abhängig. Ebenso kritisch sind feste Arbeitszeiten oder Anwesenheitspflichten, die typisch für Angestellte sind. Die Nutzung von Arbeitsplätzen und Geräten des Auftraggebers deutet auf eine enge organisatorische Einbindung hin.
Weitere Warnzeichen sind die Integration in interne Besprechungen und Teamstrukturen sowie die Verwendung von Firmen-E-Mail-Adressen und Geschäftsausstattung. Wenn keine eigenen versicherungspflichtigen Mitarbeiter beschäftigt werden, verstärkt dies den Verdacht der Scheinselbstständigkeit.
Merkmale echter Selbstständigkeit:
Echte Selbstständigkeit zeichnet sich durch unternehmerisches Risiko aus, etwa durch eigene Investitionen in Büroausstattung, Software oder Fahrzeuge. Die freie Preisgestaltung bei Stunden- oder Pauschalsätzen ist ein weiteres wichtiges Merkmal. Ein professioneller Marktauftritt mit mehreren Auftraggebern, eigener Website und aktiver Akquise spricht für Selbstständigkeit.
Die Arbeitsorganisation sollte flexible Zeiteinteilung, freie Wahl des Arbeitsortes und eigene Terminplanung umfassen. Beim Vertragsverhältnis sind erfolgsorientierte Werkverträge günstiger als zeitbasierte Dienstverträge.
Rechtsprechung zur Weisungsbindung: Das Bundessozialgericht verlangt für relevante Weisungsbindung "Weisungen von erheblichem Gewicht". Gelegentliche Koordination oder rein fachliche Hinweise begründen noch keine Scheinselbstständigkeit. Entscheidend ist die Intensität und Häufigkeit der Weisungen sowie deren Einfluss auf die Arbeitsgestaltung. Weitere wichtige Aspekte zu faktischen versus vertraglichen Arbeitsverhältnissen finden Sie in unserem ausführlichen Artikel über Rechte und Pflichten während der Probezeit.
Warnsignal: Wenn Sie regelmäßig an Teammeetings teilnehmen, eine Firmen-E-Mail-Adresse haben oder sich bei Urlaub "abmelden" müssen, sollten alle Alarmglocken läuten. Das sind klassische Angestellten-Strukturen.
[fs-toc-h2]3. Was passiert bei Scheinselbstständigkeit?
Eine festgestellte Scheinselbstständigkeit trifft hauptsächlich den Auftraggeber mit erheblichen Nachzahlungen. Die finanziellen Belastungen entstehen durch verschiedene Nachzahlungsverpflichtungen, die sich schnell zu existenzbedrohenden Summen addieren können. Für viele Unternehmer ist es ein Schock: Plötzlich steht die Deutsche Rentenversicherung vor der Tür und fordert sechsstellige Beträge nach - rückwirkend für mehrere Jahre.
Sozialversicherungsbeiträge als Hauptkostenfaktor:
Der Gesamtbeitragssatz für Sozialversicherungen beträgt 2025 etwa 40 Prozent des Bruttoentgelts. Dieser setzt sich zusammen aus Rentenversicherung mit 18,6 Prozent, Krankenversicherung mit 14,6 Prozent plus Zusatzbeitrag, Arbeitslosenversicherung mit 2,6 Prozent und Pflegeversicherung mit 3,4 Prozent. Hinzu kommen branchenabhängige Unfallversicherungsbeiträge.
Zusätzlich fallen weitere Umlagen an: die U1-Umlage für Entgeltfortzahlung mit 1,0 Prozent, die U2-Umlage für Mutterschaft mit 0,24 Prozent, die U3-Umlage für Insolvenz mit 0,09 Prozent sowie Berufsgenossenschaftsbeiträge.
- Sozialversicherungsbeiträge (40% von 192.000 Euro): 76.800 Euro
- Säumniszuschläge (durchschnittlich 20%): 15.360 Euro
- Lohnsteuernachzahlung: ca. 25.000 Euro
- Umsatzsteuer-Rückabwicklung: 36.480 Euro
- Anwalts-/Verfahrenskosten: 8.000 Euro
- Gesamtschaden: über 161.000 Euro
Diese Berechnung zeigt das realistische Kostenrisiko für Unternehmen. Bei vorsätzlicher Scheinselbstständigkeit kann der Nachzahlungszeitraum auf bis zu 30 Jahre ausgedehnt werden, wodurch Nachforderungen in Millionenhöhe entstehen können.
Auswirkungen für Auftragnehmer:
Überraschenderweise haben Scheinselbstständige meist finanzielle Vorteile. Sie erhalten Beitragserstattungen bei bereits bestehender gesetzlicher Krankenversicherung und gewinnen rückwirkende Arbeitnehmerrechte wie Urlaubsanspruch und Kündigungsschutz. Zudem besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Krankheit. Eigene Nachzahlungsverpflichtungen entstehen normalerweise nicht, da das rechtliche "Vergehen" beim Unternehmen liegt, das sich die Sozialbeiträge gespart hat.
Eine Ausnahme besteht nur darin, dass Arbeitnehmeranteile der letzten drei Monate vom Lohn einbehalten werden können. Privat Versicherte erhalten keine Beitragserstattung.
Sofort-Maßnahme: Sollten Sie bereits Zweifel an Ihrer Arbeitsbeziehung haben, stellen Sie umgehend einen Antrag auf Statusfeststellung bei der Deutschen Rentenversicherung. Jeder weitere Tag ohne Klärung erhöht das Nachzahlungsrisiko.
[fs-toc-h2]4. Welche Strafen drohen bei Scheinselbstständigkeit?
Scheinselbstständigkeit kann strafrechtliche Folgen haben, wenn vorsätzlich Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten werden. Die rechtlichen Grundlagen haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verschärft und können zu empfindlichen Sanktionen führen. Was viele nicht wissen: Unwissenheit schützt vor Strafe nicht - und die Staatsanwaltschaften gehen mittlerweile rigoros gegen Scheinselbstständigkeit vor.
Strafrahmen nach § 266a StGB:
Bei fahrlässigem Vorenthalten drohen nur Geldstrafen nach Tagessätzen, jedoch keine Freiheitsstrafe. Deutlich schärfer sind die Konsequenzen bei vorsätzlichem Vorenthalten: Einfacher Vorsatz wird mit Geldstrafen bis 50.000 Euro oder Freiheitsstrafen bis fünf Jahren bestraft. Zusätzlich können Bußgelder bis 500.000 Euro verhängt werden.
In besonders schweren Fällen oder bei bandenmäßigem Handeln drohen Freiheitsstrafen bis zehn Jahre, Vermögenseinziehung und die Anwendung des Unternehmensstrafrechts. Diese Verschärfungen zeigen, dass der Gesetzgeber Scheinselbstständigkeit als ernsthaftes Problem ansieht.
Vorsatz wird angenommen bei:
- Vertragsklauseln zum Ausschluss der Sozialversicherungspflicht
- Systematischer Umgehung arbeitsrechtlicher Bestimmungen
- Ignorieren von Warnungen der Deutschen Rentenversicherung
- Wiederholter Scheinselbstständigkeit trotz Kenntnis der Rechtslage
Prüfende Behörden:
Die Deutsche Rentenversicherung Bund führt Statusfeststellungsverfahren durch und erlässt bindende Bescheide. Krankenversicherungsträger führen Betriebsprüfungen alle vier Jahre durch und können eigenständig Scheinselbstständigkeit feststellen. Das Hauptzollamt wird bei Verdacht auf Schwarzarbeit oder Scheinselbstständigkeit tätig und hat Durchsuchungsbefugnisse. Die Steuerfahndung wird bei Verdacht auf Steuerhinterziehung aktiv.
Praxisbeispiel: Das Amtsgericht Augsburg verurteilte einen CSU-Politiker zu 120.000 Euro Bußgeld und 16 Monaten Haft auf Bewährung wegen systematischer Scheinselbstständigkeit seiner Ehefrau über mehrere Jahre. Dieses Urteil zeigt, dass die Gerichte auch bei prominenten Personen konsequent durchgreifen.
Das Verfahren beginnt meist mit einem Verdachtsmoment, führt über Betriebsprüfungen zur Feststellung von Scheinselbstständigkeit und mündet bei Vorsatzverdacht in Strafanzeigen. Wichtig ist, dass Selbstanzeigen nach Aufnahme der Ermittlungen nicht mehr möglich sind und den Strafrahmen nicht mildern können. Ausführliche Informationen zu strafrechtlichen Verfahren und den damit verbundenen Kosten erhalten Sie in unserem Ratgeber zu Verteidigungskosten im Strafverfahren.
Rechtlicher Hinweis: Vermeiden Sie unbedingt Vertragsklauseln wie "Sozialversicherung trägt der Auftragnehmer selbst". Solche Formulierungen werden als Indiz für bewusste Umgehung gewertet und können strafrechtliche Ermittlungen auslösen.
[fs-toc-h2]5. Wie kann ich Scheinselbstständigkeit vermeiden?
Die effektivste Strategie gegen Scheinselbstständigkeit liegt in der präventiven Gestaltung rechtssicherer Arbeitsbeziehungen. Durch durchdachte Vertragsklauseln und organisatorische Maßnahmen lassen sich die meisten Risiken von vornherein ausschließen. Vorbeugen ist hier deutlich günstiger als heilen - die Kosten für einen guten Anwalt sind ein Bruchteil der möglichen Nachzahlungen.
Empfohlene Vertragsklauseln:
Rechtssichere Verträge sollten explizit festhalten, dass der Auftragnehmer nicht weisungsgebunden ist und Arbeitszeit, Arbeitsort sowie Arbeitsmethode frei bestimmen kann. Wichtig ist auch die Klarstellung, dass der Auftragnehmer das unternehmerische Risiko trägt und Leistungen durch qualifizierte Dritte erbringen lassen kann. Die Vergütung sollte ausschließlich nach Projekterfolg erfolgen, nicht nach Arbeitszeit.
Zu vermeidende Klauseln:
- Ausschluss von Sozialversicherungsansprüchen (starkes Indiz für Vorsatz)
- Exklusivitätsverpflichtungen ohne sachliche Rechtfertigung
- Feste Arbeitszeiten oder Anwesenheitspflichten
- Dauerhafte Tätigkeitsbeschreibungen statt projektbezogener Ziele
Organisatorische Schutzmaßnahmen für Unternehmen:
Externe Dienstleister sollten mit eigener Ausstattung arbeiten und keine Firmen-E-Mail-Adressen oder Visitenkarten erhalten. Statt Teilnahme an Teamrunden sind separate Projektbesprechungen vorzuziehen. Die Rechnungsstellung muss extern mit eigener Steuernummer erfolgen, und eine Aufführung im Organigramm oder Telefonverzeichnis ist zu vermeiden.
Bei der zeitlichen Organisation sind flexible Projekt-Deadlines statt feste Arbeitszeiten wichtig. Zeiterfassung oder Anwesenheitspflichten sollten vermieden werden. Der Auftragnehmer sollte Urlaubszeiten ohne Abstimmungspflicht planen können und freie Wahl von Arbeitsort und Arbeitsmethoden haben.
Strategien für Selbstständige:
Kundenstruktur diversifizieren: Mindestens drei bis vier Auftraggeber anstreben, wobei kein Kunde über 75 Prozent des Gesamtumsatzes generieren sollte. Aktive Akquise und Netzwerkpflege sind ebenso wichtig wie Referenzprojekte aus verschiedenen Branchen.
Professioneller Auftritt: Eine professionelle Website mit Leistungsportfolio, eigene Geschäftsräume oder Büroadresse sowie Gewerbeanmeldung und Handelsregistereintrag sind grundlegend. Professionelle Kommunikationsmittel wie Visitenkarten und Briefpapier runden das unternehmerische Erscheinungsbild ab.
Rechtliche Absicherung: Die Entwicklung allgemeiner Geschäftsbedingungen, der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung sowie rechtliche Beratung bei Vertragsgestaltung sind empfehlenswert. Regelmäßige Überprüfung der Geschäftsbeziehungen hilft, Risiken frühzeitig zu erkennen. Wie wichtig präzise und rechtssichere Vertragsformulierungen sind, zeigen wir Ihnen detailliert in unserem Leitfaden zu rechtssicheren Lizenzverträgen.
Statusfeststellungsverfahren als Absicherung:
Bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung können Sie rechtssicher klären lassen, ob Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit vorliegt. Antragsberechtigt sind sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer.
Optimaler Zeitpunkt:
- Vor Tätigkeitsbeginn: Keine rückwirkenden Nachforderungen
- Innerhalb 1 Monat: Sozialversicherungspflicht erst ab Bescheid
- Nach 1 Monat: Volle rückwirkende Nachzahlungspflicht
Die Verfahrensdauer beträgt üblicherweise drei bis sechs Monate. Widerspruch und Sozialgerichtsklage haben aufschiebende Wirkung und bieten Rechtssicherheit für alle Beteiligten.
Goldene Regel: Wenn Sie sich fragen müssen, ob Sie scheinselbstständig sind, sind Sie es wahrscheinlich. Echte Selbstständige zweifeln nicht an ihrem Status - sie leben ihn täglich durch unternehmerisches Handeln.
[fs-toc-h2]6. Wer prüft Scheinselbstständigkeit?
Die Rechtsprechung zur Scheinselbstständigkeit wird zunehmend strenger. Aktuelle Urteile zeigen klare Trends zu einer schärferen Kontrolle und restriktiveren Beurteilung vermeintlich selbstständiger Tätigkeiten. Was früher noch als Grauzone galt, wird heute rigoros als Scheinselbstständigkeit eingestuft. Die Zeiten, in denen man mit einem einfachen Dienstleistungsvertrag auf der sicheren Seite war, sind definitiv vorbei.
Neue Rechtsprechungstrends:
Die Gerichte werden zunehmend kritischer bei der Beurteilung von Selbstständigkeit. Zweifel gehen häufiger zulasten der Selbstständigkeit, was für alle Beteiligten erhebliche Auswirkungen hat. Diese Entwicklung zeigt sich besonders bei der Bewertung wirtschaftlicher Abhängigkeit und organisatorischer Eingliederung.
Vergütung als neues Kriterium:
Das Bundessozialgericht hat seit 2017 die Honorarhöhe als wichtiges Abgrenzungskriterium eingeführt. Der Rechtsprechungsgrundsatz besagt, dass die Vergütung ein gewichtiges Indiz für echte Selbstständigkeit ist, wenn sie deutlich über dem vergleichbaren Angestelltenverdienst liegt.
Stundensätze, die 40-50 Prozent über dem Angestelltenlohn liegen, sprechen für echte Selbstständigkeit. Im neutralen Bereich bewegen sich Stundensätze 20-40 Prozent über dem Angestelltenlohn. Als Risikobereich gelten Stundensätze unter oder nur geringfügig über dem Angestelltenlohn.
Branchen-spezifische Entwicklungen:
Baugewerbe: Das Hessische Landessozialgericht hat 2025 in mehreren Verfahren entschieden, dass auch formal korrekte Werkverträge Scheinselbstständigkeit nicht verhindern können, wenn die tatsächliche Baustellenorganisation eine Weisungsabhängigkeit begründet.
IT/Home-Office: Das Landessozialgericht Hessen stellte klar, dass Home-Office-Tätigkeit keine Selbstständigkeit begründet. Ein Programmierer, der dauerhaft im Home-Office arbeitet, unterliegt der Sozialversicherungspflicht, wenn er ausschließlich für einen Auftraggeber tätig ist.
Fitness-Branche: Kursleiter in Studios gelten oft als scheinselbstständig, wenn sie in feste Stundenpläne eingebunden sind und keine eigenen Preise festlegen können.
Häufige Irrtümer:
- Ein Werkvertrag schützt nicht automatisch vor Scheinselbstständigkeit
- Home-Office bedeutet nicht automatisch Selbstständigkeit
- Eigene Geschäftsausstattung allein genügt nicht als Nachweis
- Kurze Projekte verhindern keine Scheinselbstständigkeit
Die Rechtsprechung zeigt drei wichtige Entwicklungslinien: strengere Bewertung der Weisungsfreiheit, erhöhte Anforderungen an unternehmerisches Auftreten und kritische Würdigung von Ein-Kunden-Verhältnissen. Diese Trends werden sich voraussichtlich fortsetzen, insbesondere bei digitalen Arbeitsformen.
Zukunfts-Prognose: Die Digitalisierung wird die Scheinselbstständigkeitsprüfung nicht erleichtern, sondern erschweren. Plattform-Arbeit, Remote Work und KI-gestützte Tätigkeiten schaffen neue Grauzonen, die noch restriktiver bewertet werden könnten.
[fs-toc-h2]7. FAQ - Häufige Fragen zur Scheinselbstständigkeit
Kann ich als Solo-Selbstständiger scheinselbstständig sein?
Ja. Dass Sie keine Mitarbeiter haben, ist sogar ein klassisches Indiz für Scheinselbstständigkeit. Entscheidend ist die Art der Arbeitsausführung, nicht die Unternehmensgröße. Besonders problematisch wird es, wenn Sie ausschließlich für einen Auftraggeber arbeiten und in dessen Organisation eingegliedert sind.
Schützt ein Werkvertrag vor Scheinselbstständigkeit?
Nein. Die tatsächliche Arbeitsausgestaltung ist entscheidend, nicht die Vertragsbezeichnung. Auch bei einem formal korrekten Werkvertrag kann Scheinselbstständigkeit vorliegen, wenn die praktische Durchführung einem Arbeitsverhältnis entspricht. Gerichte prüfen immer die gelebte Realität.
Wie lange dauert ein Statusfeststellungsverfahren?
Üblicherweise drei bis sechs Monate. Bei Widerspruch und Klage kann es Jahre dauern. Widerspruch und Klage haben aber aufschiebende Wirkung, sodass während der Verfahrensdauer keine Sozialversicherungspflicht eintritt. Eine frühzeitige Antragstellung ist daher empfehlenswert.
Muss ich als Scheinselbstständiger nachzahlen?
Normalerweise nein. Der Auftraggeber trägt die Nachzahlungslast, da er sich die Sozialbeiträge gespart hat. Nur Arbeitnehmeranteile der letzten drei Monate können eventuell einbehalten werden. Das rechtliche "Vergehen" liegt beim Unternehmen, nicht beim Scheinselbstständigen.
Kann ich gegen einen Scheinselbstständigkeitsbescheid vorgehen?
Ja, durch Widerspruch und anschließende Sozialgerichtsklage. Beide haben aufschiebende Wirkung. Eine spezialisierte Rechtsberatung ist dabei empfehlenswert, da die Verfahren komplex sind und der Ausgang oft von Details der Arbeitsgestaltung abhängt.
[fs-toc-h2]8. Fazit: Prävention ist der beste Schutz
Scheinselbstständigkeit birgt erhebliche finanzielle und strafrechtliche Risiken, die existenzbedrohend sein können. Die Rechtsprechung wird zunehmend strenger, weshalb präventive Maßnahmen wichtiger denn je sind. Lassen Sie Ihre Vertragsgestaltung rechtlich prüfen und nutzen Sie das Statusfeststellungsverfahren zur Absicherung. Bei laufenden Ermittlungen ist schnelle rechtliche Beratung erforderlich.
Die Zeiten, in denen man mit einem einfachen Dienstleistungsvertrag sicher war, sind vorbei. Heute schauen Behörden genau hin - und sie haben dabei alle Möglichkeiten der modernen Datenanalyse zur Verfügung. Wer heute noch auf Glück setzt, spielt mit der Existenz seines Unternehmens. Gerade im Arbeitsrecht zeigt sich immer wieder, dass rechtssichere Gestaltung von Arbeitsverhältnissen entscheidend ist. Praktische Tipps zur korrekten Umsetzung arbeitsrechtlicher Vorgaben erhalten Sie beispielsweise in unserem umfassenden Leitfaden für rechtssichere Abmahnungen im Arbeitsrecht. Präventive rechtliche Beratung ist immer kostengünstiger als die nachträgliche Bewältigung rechtlicher Probleme.
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